Tag 41

Es war hart, ich war müde, ich war fertig. Seelisch und körperlich bin ich bis an meine Grenzen gestoßen und habe sie sogar noch verschoben. Knapp sechzig Kilometer in vierundzwanzig Stunden durch karge Wüste. Und so sah mein Tag aus:

Halb drei Uhr morgens riss mich mein Wecker aus meinen Träumen. Es war mitten in der Nacht und ich war mehr als müde. Irgendwie habe ich es dann unter großer mentaler Kraftanstrengung zwanzig Minuten später aus meinem Schlafsack geschafft und stand auf der stockfinsteren Wiese. Alles war ruhig, gespenstische Stille auf der Lichtung. Halb wach, halb schlafend packte ich mein Zeug zusammen und ging an den benachbarten Tisch, um zu frühstücken. Jason schlief noch tief und fest. Deshalb entschied ich mich dazu, allein in den düsteren Wald aufzubrechen.

Es war schon verdammt gruselig vier Uhr morgens allein durch ein Bärengebiet zu gehen, doch ich wollte es unbedingt bis Mittag zu dem zwanzig Meilen entfernten Hikertown schaffen. Der frühe Vogel fängt den Wurm, das gilt insbesondere für das Wandern. Während ich lief und sehnlichst die Sonne erwartete, sang ich in die Dunkelheit hinein, eine Vorsichtsmaßnahme. Ich wollte keinen Bären erschrecken. Man sollte sich niemals, niemals einem Bären leise nähern. Das kann ganz schnell ganz übel enden. Habe ich Berglöwen schon erwähnt?

Nach einer halben Stunde kam langsam der Mond zum Vorschein, da der Wald lichter wurde. Er schien recht hell, obwohl er nur noch halb voll war. Trotzdem wollte ich meine Kopflampe noch nicht abschalten. Dann begann der frühe Morgen und der Himmel färbte sich langsam von schwarz zu dunkelblau. In der Dämmerung kam mein erster großer Meilenstein.

Fünfhundert Meilen, oder achthundert Kilometer war ich bereits unterwegs. Ein sagenhaftes Gefühl durchströmte mich von Kopf bis Fuß. Um das Bild aufzunehmen, wartete ich bis die Sonne ein wenig aufging. Da stieß auch schon Jason zu mir und wir gingen nach einem High Five gemeinsam weiter. Es lag noch ein langer, langer Weg vor uns.

Der PCT schlängelte sich gemächlich aufwärts und ließ uns schwer atmen. Es wurde gerade erst hell, als bereits erste krampfartige Verspannungen in meiner rechten Kniekehle einsetzten. Als würde jemand versuchen meinen Muskel aus der Haut zu ziehen. Nichtsdestotrotz lief ich weiter. Der Sonnenaufgang ließ mich kurz stehen bleiben und meine Verspannungen für ein paar Sekunden vergessen.

Irgendwann kamen wir einer potenziellen Wasserquelle entgegen. Dabei handelte es sich um ein großes Wasserauffangbecken. Das Problem: verwesendes Fleisch. Wir lasen, dass ein Bär in den Tank fiel und dort ertrank. Seit dem verrottet er langsam vor sich hin. Wir waren nicht neugierig genug nachzusehen. Auf die Albträume konnte ich auch verzichten.

Meine Gedanken wurde schnell in eine andere Richtung gelenkt, nämlich in die des Horizonts. Vor uns breitete sich ein gewaltiges Wolkenmeer aus. Die wellenartigen Erhebungen vermittelten den Eindruck tosenden Wassers und stürmischer See.

Am frühen Vormittag fiel mein Blick auf die Ebene, auf die wir zuliefen. Ich konnte die kommende Hitze förmlich spüren. Dort unten musste es wesentlich heißer sein. Und ich hatte recht.

Je tiefer wir kamen, desto stärker machte sich in mir der Gedanke breit, dass die Wüste nun tatsächlich erst richtig anfing. Die Gräser wurden goldgelb und hätten wahrscheinlich beim kleinsten Funken sofort lichterloh gebrannt. Alles wirkte so ausgelaugt von der großen Dürre. Der staubige Sand, die alles austrocknende Sonne.

Am meisten beeindruckten mich die goldenen Hügel. Ich fand, dass sie etwas Magisches an sich hatten. Sie wirkten wie von einem anderen Stern.

Kurz darauf näherten wir uns dem Ort. Ein schnurgerade Weg führte uns direkt zu unserem ersten Zwischenhalt.

Und da war es: Hikertown. Ein mehr als seltsamer Ort. Es war mehr eine Art kleines Domizil für all die Wanderer, die sich in die abgelegenen Teile der Wüste wagten. Da standen kleine Häuschen. Alles wirkte wie aus einem Film aus dem wilden Westen herausgeschnitten. ‚SHERRIF‘, ‚HOTEL‘, ‚MINING SUPPLYS‘, ‚PRISON‘, um nur einige zu nennen. Da arbeitete gerade ein Mann auf freiwilliger Basis und er nahm uns mit seinem Oldtimer mit zum nächsten Kiosk in ein paar Meilen.

Dort gönnten wir uns ein paar Stunden Entspannung. Es gab einen ventilierten Raum mit einem riesigen Flachbildfernseher, auf dem unter anderem Dokumentationen über Wüstenregionen Amerikas liefen. Das empfand ich als überaus amüsant, da wir uns genau in solch einer befanden.

Gegen Abend waren wir wieder in Hikertown und ich bereitete mich mental auf die nächsten Meilen vor. Ich fand etwas Ruhe auf einem Stoß Holzpaletten mit Sicht auf die Berge. Ich schloss die Augen und meditierte. Ich schöpfte Energie aus dem großen Ganzen, der mich umgebenden Natur und allem was ist. Der Strom erfüllte mich und ich lenkte die meiste Energie in meine Füße und Beine. Sie würden am meisten zu stemmen haben.

Und dann ging es los. Wir folgten dem berühmten Los Angeles Aqueduct, der Wasserversorgung der Großstadt. Später liefen wir auf Rohren, die Nieten drückten unangenehm auf meine Füße, daher gingen wir rechts herunter und folgten einer art Straße, die exakt neben dem Rohr entlang führte.

Die Sterne wurden prächtig. Selbst die Milchstraße war zu sehen, sie zeichnete sich als dünner Schleier am Nachthimmel ab. Dafür nahm mit jeder Meile meine Müdigkeit zu. Ich kämpfte mit dem Einschlafen. Manchmal fühlte ich mich so fertig, dass ich am liebsten in den Sand gekippt wäre, nur um ein paar Stunden die Augen zuzumachen. Zu allem Übel war die Straße der wir folgten auch noch extrem monoton. Immer das Gleiche, ich verlor bald das Gefühl für die Zeit. Jason musste nach cirka neun Meilen aufgeben, er war viel zu kaputt um weiterzumachen. Ich verstand ihn, ich fühlte mich ja genauso. Doch in mir brannte eine art Feuer, dass nur dann gestillt würde, wenn ich diese Brücke erreichte, die noch neun Meilen entfernt lag. Ich gab mir einen Ruck und zog allein in die Dunkelheit.

Die Wüste lebt. Vor allem nachts. Auf dem Weg sah ich immer wieder riesige Ameisenkolonien und sogenannte Kängurumäuse. Wie der Name schon sagt, springen sie munter durch die Nacht. Ihr langer Schwanz wedelt dabei hinter ihnen her. Ich sah ein paar von denen, jedes mal starrten sie mich erst eine Weile an, ehe sie davonhüpften.

Die sogenannten Josua Bäume sind wirklich mystisch. Sie renken ihre Arme kreuz und quer durch die Luft, als wären sie unentschlossen, in welche Richtung sie wachsen sollten. Während ich so über diese Gewächse nachdachte, hörte ich ein Rudel Hyänen heulen. Ein wenig wie Hunde, doch man kann den Unterschied ausmachen. Ich legte trotz meiner quälenden Fußschmerzen einen Zahn zu.

Der Wind blies kalt und erbarmungslos in mein übermüdetes Gesicht. Ich war nahe dem Aufgeben, als ich plötzlich den Ort erreichte, zu dem ich so dringend wollte. Hier wollten auch die Anderen (zum Beispiel Nathan) stoppen, um der Hitze unter einer Brücke zu entgehen. In der völligen Schwärze der Nacht, es war vier Uhr früh, fand ich die besagte Brücke nicht und schlug mein Lager abseits des Weges auf. Ich holte mein Zelt erst gar nicht heraus. Zu viel Arbeit. Cowboycamping war angesagt. Mir tat alles weh und ich konnte nur noch in meinen Schlafsack kriechen und mich dem mich übermannenden Schlaf hingeben.

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