Langsam realisierte ich, dass die Sierra Nevada ein echt hartes Pflaster sind. Die steilen Anstiege, die sich meilenweit in die Länge ziehen, die Moskitos, die einem Tag ein Tag aus das Leben schwer machen, die langen Umwege, die man nehmen muss, um überhaupt zur nächsten Stadt zu gelangen und schließlich der Schnee, der den Trail unter sich begräbt und das Gehen zu einer Rutschpartie macht. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und der Gewinn ist hoch.
Früh begegenete ich zum ersten mal besagtem Schnee, der auf dem Trail lag. Ich fühlte mich etwas unsicher darauf zu laufen, jedoch bestand für Mikrospikes kein Bedarf. Daher passte ich einfach etwas auf und ging sehr langsam. Der Morgen bietete grandiose Ausblicke auf schroffe Felsformationen und grüne Ebenen. Ich empfand den Anblick der schneebedeckten Gipfel in der Ferne als atemberaubend schön.





Der sandige Pfad, der mich wieder stark an die Wüste erinnerte, führte mich schließlich in ein Waldarial, in dem ich ein paar zurückgelassene Schuhe fand. Ich dachte an meine Edelstahlflasche, die ich vor langer Zeit bereits zweimal nach einer Pause vergessen hatte und wie mir jedes Mal andere Wanderer diese selbstlos hinterherbrachten. Daher wollte ich anderen auch etwas Gutes tun und schnallte die Schuhe, die an einem Karabiner angebracht waren, an meinem Rucksack fest und brach auf. Ich hoffte den Besitzer rechtzeitig zu finden. Die Chancen standen nicht unbedingt günstig. In den Sierra Nevada gibt es eine Menge sogenannte „Section Hiker“ – also Wanderer, die nur einen Teilabschnitt gehen. Viele davon gehen nach Süden, also in die entgegengesetzte Richtung.


Ich streifte durch saftige Wiesen, vorbei an kleinen Flüssen und durch grüne Wälder. Auf einmal rannte ein Reh kurz vor mir von rechts nach links. Zuerst erschrak es mich, doch dieses Gefühl wurde schnell durch Freude verdrängt. Kurz darauf gelangte zu einem reißenden Fluss, den ich durchqueren sollte. Da ich keine umgefallenen Baumstämme oder sonstiges fand, entschied ich mich, den Fluss allein und direkt zu passieren. Ich hatte Respekt vor der Aufgabe die vor mir lag, vor allem weil ich derartiges noch nie gemacht hatte. Sollte ich mit Schuhen, nur mit Socken oder gar barfuß durch das Wasser gehen? Letzteres war meine Wahl, da ich keine nassen Schuhe wollte und Socken die Wahrnehmung des Untergrunds einschränken würden. Der Fluss war tiefer als gedacht, nur bis zum Oberschenkel, doch das reichte aus, um mich ins Wanken zu bringen. Was für eine Kraft!




Auf der anderen Seite ging es steil aufwärts. Nach einer gewissen Weile traf ich eine Gruppe Wanderer, die den John Muir Trail (JMT) wanderten. Dieser Trail ist die meiste Zeit über identisch mit dem PCT, jedoch spaltet er sich manchmal ab. Außerdem ist er nur auf die Sierra Nevada beschränkt. Ich fragte die Leute, ob jemand von ihnen diese Schuhe vermisste. Sie riefen mir zu, dass vor zehn Minuten eine junge Frau mit ihrem Vater vorbeikamen, die ein Paar vermissten. Daher entschied ich mich dazu meine Mittagspause zu verschieben und weiterzuwandern. Nach etwa einer halben Stunde, als der Trail wieder eine extreme Steigung annahm, die mich körperlich ziemlich auslaugte, holte ich die Zwei ein. Die junge Frau konnte es kaum fassen und stand nur mit offenem Mund da, während sie mich ungläubig betrachtete. Da musste ich wirklich schmunzeln. 🙂
Als wir uns oben noch einmal trafen (ich war mehr als hungrig und musste essen), dankten mir die Beiden wieder und wieder. Die Schuhe dienten der Frau nämlich dem Durchqueren von Flüssen. Sie gaben mir als Dank etwas Essen, unter anderem gertrocknete Erdbeeren und etwas Geschmackspulver für mein Wasser. Als man mir noch zwanzig Dollar gab, lehnte ich zunächst ab, ich tat das nicht, um eine Gegenleistung zu verlangen. Doch sie bestanden darauf und so nahm ich voller Dank an. Gutes widerfährt dem, der Gutes tut. Lektion gelernt. 🙂

Etwas später ging ich wieder allein weiter. Als ich irgendwann zu meinem Zeltplatz gelangte, unterwegs traf ich nochmal die Zwei von vorhin, fiel mir auf, wie viel schwieriger sich doch die Planung im Gebirge gestaltete. Flussdurchquerungen werden am besten morgens durchgeführt, wenn ein reißender Strom normalerweise weniger Wasser führt, da die Schneeschmelze erst wenn es wärmer wird einsetzt. Hohe Pässe werden auch am besten früh bestiegen, solang der Schnee noch fest und begehbar ist. Und damit habe ich die perfekte Überleitung. Morgen hatte ich ein Mammutprojekt vor mir: den Forrester Pass, also den höchst begehbaren Pass auf dem Pacific Crest Trail. Dafür würde ich zeitig aufstehen müssen, denn der Schnee wartete nicht auf mich.


