Heute war es so weit: mein erster großer Berg und gleichzeitig der Höchste auf dem PCT. Der Gedanke war etwas beängstigend so ganz allein den Forrester Pass besteigen zu wollen, bei all dem Schnee, der noch oben liegen sollte.
In der Früh war es so kalt, dass ich mir in meinem Vorzelt einen Tee aufbrühte, während draußen noch alles in Dunkelheit gehüllt war. Halb sechs war ich startklar – die Mücken beschleunigten das Einpacken enorm.
Während ich meines Weges ging, musste ich drei Flüsse durchqueren, bevor ich den Pass angehen konnte. Ich tat dies wieder barfuß, doch diesmal war das Wasser eiskalt. Ich musste ein paar mal überrascht aufschreien und die Zähne zusammenbeißen, da sich die Eiseskälte wie Messerstiche in meine Haut anfühlte. Mein zweiter Fluss war der Wright Creek, ein monströses, tösendes Ungeheuer. Ich bekam es etwas mit der Angst zu tun und suchte den Fluss nach sichereren Stellen ab, doch nichts schien meinen Vorstellungen gerecht zu werden. Also ging ich zurück zur offiziellen Stelle. Ich verstaute wichtige Sachen wie Handy und Kamera in dem Bärenkanister auf meinem Rucksack um sie vor Nässe zu schützen. Diesen zog ich noch einmal richtig stramm fest. Ich zog die Schuhe aus und atmete tief durch. Nach einem kurzen Gebet nahm ich all meine Willenskraft zusammen und ging durch den Fluss. Die Kraft, die mir entgegenkam und mir in die rechte Flanke drückte, war gewaltig. Ich stützte mich mit meinen Treckingstöcken ab, so gut ich konnte und machte einen Schritt nach dem anderen. Ich schaffte es auf die gegenüberliegende Seite und mein Atem beruhigte sich langsam. Ich war so erleichtert…
Nach meinem dritten Fluss, den ich wiederum an einer breiteren Stelle passierte, begab ich mich auf den Anstieg zum Forrester. Langsam aber sicher näherte ich mich ersten Schneefeldern und ich musste meine Sonnenbrille aufsetzen, um meine Augen vor der hohen UV Strahlung zu schützen. Und der Schnee wurde immer schlimmer. Die letzten ein oder zwei Meilen schien der Trail komplett unter der weißen Decke verschwunden zu sein. Die Fußspuren im Schnee führten mich wieder und wieder auf unregelmäßige Steinhaufen zu, die manchmal echte Schwierigkeiten hervorriefen, da das lose Geröll ab und zu keinen richtigen Halt bot. Ich war langsamer als vermutet und die Sonne stieg immer höher. Der Schnee schmolz und wurde weich, daher sank ich sehr oft tief ein.
Nach einer Weile gelangte ich an eine große Felswand und konnte kaum glauben, dass mich der PCT tatsächlich dort hoch führen wollte. Normalerweise würde mich der Trail über zickzackförmige Kurven langsam und sicher über den Pass bringen, doch wenn Schnee liegt, gibt es manchmal mehrere Fußspuren, die alle irgendwie zum Pass führten, mal leichter, mal schwerer. Ich wählte, nichtsahnend der möglichen Gefahren, eine bereits vorhandene Schneespur aus. Diese führte mich quasi senkrecht am Berg nach oben. Neben einem Stein, der an die Spur angrenzte, brach ich plötzlich bis zur Hüfte ein. Steine absorbieren tagsüber mehr Wärme und lassen den Schnee um sie herum schmelzen. Dadurch können tückische Fallen entstehen. Das linke Bein konnte ich herausziehen, das Rechte wollte jedoch nicht hinterherkommen. Es steckte fest. Ich lehnte mich mit meinem Oberkörper nach hinten und zog, was das Zeug hielt. Ich konnte mich befreien. Mein Herz schlug wie wild. Als ich es auf das angrenzende Geröllfeld schaffte, streifte ich die Microspikes über meine Schuhe. Es war also soweit.
Die Fußspuren führten mich an der steil abfallenden Bergwand entlang und ich dachte, dass könne nur ein Albtraum sein. Doch: falsch gedacht. Ich bewegte mich langsam und setzte jeden Schritt mit Bedacht. Prüfte, ob mein Tritt sicher sein könnte und hoffte, dass es so war.

Ich sah auf einmal einen anderen Wanderer weiter oben. Er saß in einem der Geröllfelder und sah sich um. Wir grüßten uns. Als ich näher kam, sah ich mit Bestürzung, wie ihm der Rucksack aus den Händen glitt und bestimmt fünfzig oder sechzig Meter den Hang hinab rollte. Ich stand einfach nur fassungslos da. Er stand auf, hob die Arme, ließ sie wieder sinken und setzte sich kopfschüttelnd. Wenig später kam eine Wanderin über den Pass in seine Richtung. Sie sprachen kurz miteinander. Später sollte ich erfahren, dass die junge Frau während des Aufstiegs auf der Südseite weinte, da sie dem mentalen Druck nicht standhielt. Die Beiden machten sich daran, die Steine hinab zu klettern. Der Mann holte seinen Rucksack und kletterte wieder hoch. Ich schaffte es auf trockenen Boden und dort trafen wir uns. Sein Trailname: „Trouble“. Er stammt aus Kanada (Vancouver). Wir waren beide froh, dass wir nun nicht mehr allein waren. Die Bedinungen auf dem Forrester Pass überstiegen nämlich meine Befürchtungen um ein Vielfaches.
Wir folgten dem nun schneefreien Weg in Richtung Gipfel. Unterwegs kam noch einmal ein gefährlich zugeschneiter Abschnitt, der uns beiden Angst einjagte. Dort, dreißig Meter weiter unten, lagen scharfkantige Felsen, die in ihrer Präsenz sehr bedrohlich auf uns wirkten.
Wir erreichten wohlbehalten den höchsten Punkt. Mir knurrte der Magen, es war bereits Nachmittag und ich hatte noch nichts gegessen, da ich viel zu sehr damit beschäftigt war, nicht abzustürzen. Nach einer guten Unterhaltung und etwas Essen im Magen gingen wir den Südhang herunter. Der Pfad wirkte weit weniger gefährlich, doch es gab deutlich mehr Schnee auf dieser Seite des Berges. Der Ausblick hier oben war phänomenal. Wirklich, mein bisher mit Abstand Bester meines Lebens.
Etwas weiter unten gab es ein trockenes Stück Wiese. Ich zog meine nassen Schuhe und Socken aus und trank reines, klares Bergwasser. Nach gut einer weiteren Meile Schnee stießen wir endlich auf trockenen Boden! Wir hatten das kalte Weiß gründlich satt.
Auf unserem Weg nach unten liefen wir durch wunderschöne Landschaften. Wir waren umgeben von steilen Felwänden und mächtigen Bergen. Flüsse speisten die grünen Heiden. Dieses Jahr gab es vermutlich einige Lawinen, denn wir kamen an einem verwüsteten Waldabschnitt vorbei. Die Bäume waren geknickt, gerissen und aus ihren Verankerungen gezerrt worden. Was für eine unglaubliche Kraft.
Als wir endlich an unserem Zeltplatz eintrafen, waren wir allein. Mücken kamen wie Heerscharen auf uns zu. Also baute ich fix mein Zelt auf und entzündete ein Lagerfeuer. Dann aßen wir gemeinsam, während wir uns über das Erlebte unterhielten und die Wärme des Feuers genossen.



























