Die kalte Nacht erzeugte einiges an Kondensation, was das Aufstehen um vier Uhr morgens nicht gerade zum Zuckerschlecken machte. Doch die Mission stand: Pinchot Pass. Ein langer und vermutlich beschwerlicher Weg stand zwischen uns und dem Gipfel. So sei es…
Ich überquerte die Hängebrücke nach Zero. Es durfte laut Warnschild lediglich einzeln die Brücke über dem Woods Creek passiert werden. Besagter Fluss war extrem reißend. Das Gestell, was von gespannten Drahtseilen gehalten wurde, schaukelte ziemlich intensiv. Spätestens hier wurde mir klar, warum man nicht zu zweit hier lang gehen sollte. Es wackelte wie wild, ähnlich wie eine Drahtseilbrücke in einem dieser Kletterparks, ohne Sicherung versteht sich. Auf der anderen Seite angekommen, ging es für uns los. Auf zum Pass.
Ich war noch recht schläfrig und der Aufstieg schien mich nur noch müder zu machen. Und das sollte sich für die nächsten siebeneinhalb Meilen (zwölf Kilometer) nicht wesentlich ändern. Auf unserem Weg durchquerten wir einige Flüsse, die westlich das Felsmassiv hinabflossen und unseren Pfad kreuzten. Wir gingen mitsamt unseren Schuhen durch das Wasser. Die Eiseskälte, die sehr schnell von meinen durchtränkten Socken auf meine Füße übertragen wurde, war kaum lang auszuhalten. Also wechselte ich des öfteren meine Socken, um nicht allzu sehr zu frieren. Diese Taktik führte jedoch sehr schnell dazu, dass alle meine Sockenpaare nass wurden. Also musste ich einfach weitermachen und hoffen, dass die Wärmestrahlung später den Rest erledigen würde.

Der Vollmond war trotz der bereits aufgehende Sonne sehr gut sichtbar. Für mich markierte er den Beginn eines neuen Monats auf Wanderschaft. Meine Zehen wurden von der Kälte allmählich immer tauber. So zu wandern war wirklich kein Spaß. Ich versuchte meine Gedanken möglichst in eine andere Richtung zu lenken. In Richtung Gipfel, hoch hinaus auf den Berg. Meile für Meile verstrichen quälend langsam unter unseren müden Beinen. Meine Muskeln fingen ab einem besonders steilen Teilstück an, wie wahnsinnig zu brennen, während ich mit dem Atmen nicht mehr richtig hinterherkam.



Als wir langsam in höhere Sphären gelangten, sahen wir uns massivem Schnee gegenüberstehen. Da der Trail mal wieder stark verdeckt wurde, mussten wir sehr oft über Geröll und Felsen ausweichen. Die Alternativen erwiesen sich manchmal als etwas gefährlich, daher musste ich sehr aufpassen, dass ich nicht ausversehen meinen Fuß irgendwo einklemmte. Gegen Ende kam mir dann doch noch das Grauen. Es ging über losen Schutt beinah senkrecht nach oben. Ich kroch auf allen Vieren langsam aufwärts. Dann, als es scheinbar überstanden war, führte noch ein gefährlicher Pfad über Schnee hinweg auf den Gipfel des 12000 Fuß (3650 Meter) hohen Passes. Ich atmete tief und langsam durch. Meine Geschwindigkeit reduzierte ich auf ein Minimum, da ich mich verdammt konzentrieren musste. Als ich mit einem Fuß an einer schwierigen Stelle abrutschte, floss eine Flut an Adrenalin durch meinen Körper. Es ließ mein Herz rasen. Minuten, die sich viel zu lang anfühlten. Dann standen wir plötzlich gemeinsam auf dem Pass und gaben uns ein High Five. Geschafft! Was für eine Erleichterung. Die Schrecken der letzten Augenblicke waren noch wahnsinnig präsent, während ich die wohlverdiente Aussicht genoss. Weißgescheckte Gipfel, wohin ich auch blickte.



Wir stiegen auf der Nordseite hinunter und mussten wieder viel Schnee ertragen. Lange Felder weißer Watte. Irgendwann merkten wir, dass wir den PCT verloren hatten. Also ließen wir uns mithilfe von GPS zum Trail zurückführen. Da passierte etwas Unvorhergesehenes. Zero rutschte hinter mir auf einem glitschigen Stein aus und stieß sich kurz über dem Auge seinen Kopf an einem Felsen an. Er rief nach mir und als ich zu ihm stieß, blutete er ziemlich stark aus einer Wunde. Das Blut tropfte und lief ihm über das darunterliegende Auge. Es machte ihn kurzzeitig blind. Ich verarztete ihn sogut ich konnte. Die Blutung stoppte zum Glück recht schnell von selbst. Ich desinfizierte die Stelle und klebte ein Pflaster darüber. Wir waren beide leicht geschockt. Zum Glück wurde sein Auge verschont.


Wir machten an einem wirklich prächtigen Bergsee Halt und aßen zu Mittag. Aufgrund der vielen Ereignisse des Tages redeten wir danach eine ganze Menge. Und es tat gut ein wenig auszuspannen. Ich ließ meinen Blick über die atemberaubende Landschaft schweifen. Der See wirkte wie aus einem Kalender geschnitten.
Nach rund zwei Stunden machten wir uns wieder auf. Unterwegs dann eine Szene wie aus einem Film. Da saß ein Ranger gemütlich auf einem Klappstuhl inmitten einer offenen und wunderschönen Landschaft mit Blick auf eine wahnsinnige Bergkulisse. Seinw volle Aufmerksamkeit wae jedoch auf ein dickes Buch gelenkt. Als wir näher kamen, fragte er uns nach unseren Erlaubniskarten für das Wandern in den Sierras. Wir händigten ihm die Dokumente aus und als alles in Ordnung war, verabschiedeten wir uns kurz darauf. Ich dachte mir nur: seinen Job will ich haben.

Abends kamen wir an einem der gefährlichsten Flüsse der Sierra Nevada an: dem South Fork Kings River. 2017 forderte er bereits zwei Leben. Zwei Japanerinnen ertranken bei dem Versuch ihn zu überqueren. Er toste so laut, dass wir fast schreien mussten, um uns verstehen zu können. Das viele Schmelzwasser war dafür verantwortlich. Ein alternativer Trail führte rechts den Fluss aufwärts zu einer angeblich leichteren Stelle zum Überqueren. Diesen Pfad nahmen wir aus Respekt gegenüber der Gefahr. Nach einer guten weiteren Meile zelteten wir an einem schönen Platz nahe am Fluss. Die Überquerung stand uns also morgen früh bevor.


