Vier Uhr morgens klingelte mein Wecker und ich wand mich völlig müde aus meinem kuschelig warmen Schlafsack. Draußen war es dunkel und kalt, doch wir hatten heute eine Mission: es auf den Muir Pass schaffen und auf der anderen Seite einen Zeltplatz finden. Es lagen mehr als 11 Meilen (17 Kilometer) und 1200 Höhenmeter Anstieg vor uns, die es zu überwinden galt. Halb Sechs waren wir dann endlich soweit, dass wir aufbrechen konnten. Zero schien es jedoch nicht sonderlich gut zu gehen, er hustete nämlich schon den ganzen frühen Morgen.

Wir sahen zwei oder drei Rehe auf unserem Weg in Richtung Gipfel. Sie sahen uns mit ihren großen schwarzen Augen interessiert und eindringlich an. Nach einer gewissen Zeit wurde der Weg so steil, dass meine Oberschenkel wie Feuer brannten und mir der Schweiß von den Haaren tropfte, doch es lagen noch etliche Meilen vor uns. Die Pausen hielten wir aufgrund der eintretenden Schneeschmelze relativ gering.

Ich hatte schon oft das Bedürfnis nach frischer Nahrung und vor allem Vitamin C auf dem Trail. Und als Dave frische wilde Zwiebeln fand, musste ich sofort zugreifen und von den länglichen Blätter kosten. Sie schmeckten ganz gut, waren jedoch für eine größere Portion zu scharf.


Man hatte uns vor dem vielen Schnee auf dem Muir Pass gewarnt. Er ist bekannt als einer der härtesten Pässe in den Sierra Nevada. Und sie hatten recht. Der Schnee fing bereits zwei Meilen vor dem höchsten Punkt an und dadurch wurden wir wieder enorm ausgebremst. Eiskaltes Wasser drang in meine Schuhe ein und durchnässte meine Socken. Während ich einen Schritt vor den nächsten setzte, wurden meine Zehen langsam taub. Inbesondere die große rechte Zehe bereitete mir Sorgen. Ich rutschte nämlich bei einer Flussüberquerung über Steinen aus und landete mit meinem rechten Fuß im eiskalten Nass. Der Schuh sog sich förmlich voll. Zusätzlich machte mich die dünne Luft ziemlich fertig, mein Körper versuchte verzweifelt meiner Beinmuskulatur genügend Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Als es über einen letzten steilen Hügel voller Schnee ging, dachte ich fast, ich müsste aufgeben, doch dann sah ich plötzlich das Häuschen auf dem Gipfel, genannt „John Muir Shelter“.








Das Haus wurde in den 1930er Jahren errichtet und besteht zu fast einhundertprozent aus massivem Stein. Merkwürdigerweise hatte man den Kamin nachträglich zugemauert, vermutlich aufgrund einer neuen Richtlinie. In dem kleinen Gebäude war es angenehm dunkel. Der grelle Schnee setzte mir selbst mit einer Sonnenbrille mit UV Schutz zu. Ich zog meine Schuhe aus und lief barfuß draußen über die warmen Steine. Mir tat alles weh und ich war hungrig, aber vor allem war ich müde. Der Marsch hatte mich extrem ausgepowert. Wir brauchten für den gesamten Aufstieg sieben oder acht Stunden. Was für eine Leistung. Ich sagte meinen Beinen und meinen Füßen Danke. Dankeschön, dass ihr mich getragen habt.


Nach dem Mittagessen legte ich mich für eine halbe Stunde aufs Ohr. Ich konnte einfach nicht anders. Das schien jedoch Wunder zu bewirken. Kurz danach machten wir drei uns auf, einen geeigneten Zeltplatz unterhalb des Schnees zu finden, denn diesen wollten wir um jeden Preis heute hinter uns lassen. Der Abstieg war mehr nervig als anstrengend. In dem von der Sonne aufgeweichten Schnee sanken wir immer wieder ein. Ab und zu kamen gefährlich aussehende Schneebrücken, die sich über Schmelzwasserströmen befanden. Dort musste ich höllisch aufpassen.








Irgendwann erreichten wir einen trockenen Platz an einem wunderschönen Bergsee mit Blick auf den Muir Pass. Kurz davor lief ich über einen glatten Stein und rutschte aus. Mein Rucksack dämpfte zum Glück meinen Aufprall. Wir hatten vor, den morgigen Tag etwas langsamer anzugehen. Wir waren alle mehr als kaputt und brauchten dringend Schlaf.
