Mein ursprünglicher Plan war es gewesen sofort aufzubrechen, doch ich hatte noch so viel zu tun, dass der Tag nur so an mir vorübergezogen ist. Eigentlich kam mir das auch irgendwie gelegen, denn meine Energiereserven waren noch nicht voll und das Gehen bereitete mir Schmerzen. An solchen Tagen meldete sich jedoch immer eine Stimme in mir, die Stimme des Gewissens. Ich kam häufig mit Menschen in Kontakt, die nur mit prophylaktischer Einnahme von Schmerzmitteln durch die Gegend liefen und mit Menschen, die egal wie sehr ihr Körper unter den immensen Strapazen gelitten hat, weiter machten. Dieses Verhalten hat auch auf mich abgefärbt. Daher meldete sich diese Stimme immer dann, wenn ich nicht alles aus mir herausholte oder sogar einen Tag länger pausierte. Die Frage war nur, wieso ich mir immer so viel abverlangte. Der Körper verzeiht vieles, doch irgendwann ist damit Schluss und er braucht eine längere Erholungsphase. Das darf man beim Fernwandern nicht unterschätzen.


Zumindest hatte ich jetzt die Zeit, die mir sonst immer gefehlt hatte, um mich um meine Angelegenheiten zu kümmern. Das Herzstück meiner Ausrüstung – die Kamera – war noch defekt. Ich musste mir also eine Strategie überlegen, um das Wasser aus der Linse zu holen. Nach langem Abwägen bin ich zu dem Schluss gekommen mechanisch ein Loch außen in das Objektiv zu bohren, um so die Linse zu trocknen. Daher habe ich mich zu einem „Do it Yourself“ Laden aufgemacht und man hat mir angeboten das Ganze hinter dem Laden durchzuführen. Ok, vielleicht habe ich ein bisschen diplomatisch verhandeln müssen aber ich durfte schließlich meine Kamera „operieren“. Zunächst habe ich das Objektiv ganz ausgefahren und den Akku entfernt. Danach habe ich die Abdeckung abgehoben und mit einem Metallbohrer vorsichtig zwei gegenüberliegende Löcher gebohrt. Da wurde mir schon etwas mulmig zumute und ich hoffte, dass die Kamera jetzt nicht komplett den Bach runter gehen würde. Schließlich habe ich mithilfe eines Vakuumsaugers das Wasser aus dem Gerät herausgesaugt und die Linse mit einem Wattestäbchen von hinten gereinigt. Zu guter Letzt hat man mich wegen Lärmbelästigung aus dem Laden geschmissen, aber da war ich schon fertig und konnte vergnügt von dannen ziehen. 😀



Ich hatte nur noch ein Problem mit den Lamellen, also der Schutzabdeckung, die sich fächerartig über der Linse schließt, wenn man die Kamera ausmacht. Mir sind die Teile nämlich herausgesprungen. Selbst zwei Stunden Recherche am Rechner in der Bibliothek und intensivstes herumwerkeln haben nichts gebracht. Daher entschied ich mich einfach dazu die Dinger gar nicht erst wieder einzubauen. Ich hatte immer noch die Kameratasche, die musste reichen. Ich benötigte außerdem neue Kopfhörer, ein Kartenlesegerät und extra starke Mülltüten, um meine Sachen trocken zu halten. Die Dinge waren gar nicht so leicht aufzutreiben, doch nach endlosem Suchen hatte ich alles zusammengekauft.

Zurück in der Unterkunft habe ich Richard kennengelernt, einen US-Amerikaner. Wir unterhielten uns über Fotografie, da ich ihm stolz meine neuste Fabrikation präsentierte. Es stellte sich heraus, dass er gar kein PCT Wanderer war, sondern ein Sternenfotograf. Und zu meiner großen Überraschung hatte der von Gott Gesandte einen großen Beutel mit Silica Gel bei sich. Ich packte also die Kamera zusammen mit den Gelkügelchen in einen luftdichten Beutel. Er hatte auch einen Laptop dabei und half mir meine Fotos auf die Cloud zu laden, um sie zu sichern. Langsam verlor ich meinen Glauben an Zufälle endgültig. Richard erzählte mir von seinen Plänen für die kommenden Tage. Er würde in die White Mountains fahren, um Aufnahmen von Galaxien und Sternenhaufen zu machen. Natürlich um ein Wesentliches professioneller als mein kleines Sternenfoto.. 🙂 Ich habe diese Gebirgskette, die östlich der Sierra Nevada liegt, bereits bei meiner Anreise nach Bishop gesehen. Die Berge sind tatsächlich etwas heller von ihrem Gestein. Der wesentliche Unterschied zu den Sierras ist die Trockenheit. In den White Mountains fällt sehr sehr wenig Regen, daher ist die Vegetation extrem karg und Tiere gibt es auch kaum. Trotz der Umstände, oder gerade wegen diesen, leben in diesen Bergen die ältesten Bäume der Erde. Abgeschnitten von der restlichen Welt auf mehren tausend Metern Höhe konnten sie die Zeiten überdauern. Es sind uralte Kiefern, welche in den fünfziger Jahren entdeckt und geschätzt wurden. Der älteste dieser Bäume heißt „Methuselah“ und ist über 4700 Jahre alt. Zeit bekommt in diesen Dimensionen eine andere Bedeutung.
Ich bereitete noch alles für den nächsten Tag zurecht und ging zufrieden schlafen. Morgen würde das Abenteuer also endlich weitergehen.