Ich nahm den ersten Bus aus der Stadt zurück in die Wildnis. Die Fahrt war echt holprig und die Straßen sehr eng für so ein großes Gefährt. Als ich an der Bushaltestelle ausstieg, traf ich auf zwei Wanderer. Es waren Zwillinge. Die Beiden liefen auch schon den ganzen Weg zusammen und wollten noch den kompletten Trail innerhalb der Saison schaffen. Ein sehr ambitioniertes Vorhaben, denn die Zeit lief uns um ein Wesentliches Schneller davon als man Wandern konnte. Diese Realität hatte ich schon akzeptieren müssen, doch ich hatte mir vorgenommen das Bestmögliche aus meiner Reise herauszuholen.
Gegen neun Uhr ging es dann endlich los. Mein Rucksack war derartig schwer, dass ich resigniert lachen musste, doch nun war es zu spät für Reue. Von der Haltestelle aus führte mich der Weg etwas hinunter zu einem Fluss, dem ich eine Weile folgte. Es kamen mir mehr und mehr Touristen entgegen und kurz darauf wurde mir auch klar, warum. Rechts neben mir erhob sich ein Felsen, der von seiner Struktur anders aussah, als alles, was ich bisher in meinem Leben gesehen hatte. Er bestand vollständig aus prismatischen Steinen mit sechseckiger Grundfläche. Ein geometrisches Wunder der Natur, der „Devil’s Postpile“ oder frei übersetzt: „des Teufels Telegrafenstangen“. Die Basaltsäulen erhoben sich bis zu zwanzig Meter in die Luft. Vor circa 100.000 Jahren gab es etwas oberhalb der Stelle einen Vulkanausbruch. Der daraus resultierende Lavastrom floss bergab in ein über einhundert Meter tiefes Becken und erstarrte langsam und gleichmäßig zu Stein. In der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren schliff ein Gletscher das Tal aus und legte die Steine frei, die man heute bewundern kann. Sie zählen zu den regelmäßigsten Naturgebilden der Welt.



Ich versteckte meinen Rucksack hinter ein paar Büschen und ging auf den Felsen hoch, um noch einen weiteren Eindruck zu bekommen. Oben angekommen stand ich auf diesen steinernen Hexagonen und konnte es immer noch nicht ganz fassen wozu die Natur alles im Stande ist. Ich genoss noch ein letztes Mal die Aussicht und die Energie, die dieser Ort verströmte.

Meine Wanderung führte mich über hölzerne Brücken und durch lichtdurchflutete Wälder. An einem Wasserfall rastete ich kurz und schaute etwas verträumt in die herabstürzenden Fluten. Ich war in einer Art meditativen Stimmung und völlig ausgeglichen. Das Brausen beruhigte mich und gab mir Sicherheit.


Der Wald lichtete sich nach und nach, sodass ich bald eine atemberaubende Aussicht erwarten konnte. Von jetzt an befand ich mich in der „Ansel Adams Wilderness“, also wieder ein neuer Nationalpark. Ich wurde kurz von einer Truppe Freiwilliger aufgehalten, die sich an einem umgestürzten Baum zu schaffen machten. Sie sägten den meterdicken Stamm mit einer langen Handsäge auseinander. Ich musste wieder einmal über das Engagement der Menschen staunen, ohne die dieses epische Erlebnis sicher nicht das Gleiche gewesen wäre. Ich dankte ihnen allen und schlängelte mich außen herum.



Und jetzt hatte ich plötzlich Sicht auf die ganze Welt um mich herum. An den blauen Bergen stürzten sich Bäche und Flüsse in das tiefe Tal darunter. Blumen blühten, die Luft war frisch und der Himmel blau. Ich zog mein Gehtempo etwas an, da ich geplant hatte zu dem von mir und Dave ausgemachten Treffpunkt zu gelangen. Das waren zwanzig lange Meilen (32 km) über Stock und Stein. Ich hörte mir unterwegs ein Hörbuch von Paulo Coelho an. Er schreibt interessante Geschichten voller Lebensweisheiten, denen man unterwegs lauschen kann. Dann kam ich zu einem wunderschönen großen Bergsee. Der Wind schlug Wellen in das schwappende Wasser und untermalte die raue Natur.


Die Sonne senkte sich gen Westen und trieb die Schatten in das Land. Der Tag neigte sich langsam wieder dem Ende entgegen. Ich lag noch halbwegs gut in der Zeit, da ich meine Essenspausen abgekürzt hatte. In der aufkommenden Dämmerung traf ich einen Mann, der sich neben den Trail gesetzt hatte. Wir unterhielten uns kurz. Er meinte, er hätte einen Tabakbeutel verloren. Ich erinnerte mich daran, etwas Derartiges gesehen zu haben. Leider hatte ich das Ding nicht eingepackt und schickte ihn daher seines Weges. Schließlich erreichte ich die ausgemachte Stelle, doch… Es war keiner da. Stattdessen fand ich einen mit einem Stein beschwerten Brief von Dave. Er entschuldigte sich darin und meinte, er sei viel zu zeitig hier angekommen und wäre weitergegangen. Ich konnte ihm das nicht übel nehmen, obwohl ich etwas enttäuscht war. Mein Zelt stellte ich in die Nähe eines Flusses und zog meinen sehr schweren Essensbeutel an einem Baum in die Luft – alles wie immer.

Als ich in meinen Schlafsack zuzog um der Welt gute Nacht zu wünschen, hatten die Schatten die Natur bereits erobert.