Tag 74

Der Morgen war eisig, da es die Sonne noch nicht über die Bergkuppen geschafft hatte. Dennoch hatte ich eine gute Strecke bis in die nächste „Ortschaft“ zu bewältigen. Ich musste davor noch einen letzten Pass erklimmen. Durch die bereits weit vorangeschrittene Schneeschmelze war das Ganze eher ein „cakewalk“ für mich, also wesentlich leichter als mit dem Schnee. Die Bergseen waren ein echter Hingucker. In ihnen spiegelten sich die Felswände dahinter, was zu tollen Aufnahmen geführt hat.

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Die letzten paar hundert Meter waren ziemlich anstrengend. Ich hatte gefühlt eine halbe Tonne auf dem Rücken – das konnte einfach nicht mehr lange gut gehen. Ich musste da irgendwie durch und biss die Zähne zusammen. Als ich schließlich auf dem Pass stand, warf ich mich erstmal auf meinen Hosenboden, ohne erst den Rucksack abzunehmen. Ich konnte diesen als Rückenstütze verwenden und es mir gemütlich machen. Der Pass war voller Geröll und hatte nur vereinzelte Reste von Schneefeldern, ansonsten war die Vegetation mehr oder weniger nicht existent. Hier und da vielleicht ein wenig Gras aber das war es auch schon wieder. Ich ließ meinen Blick in die Ferne schweifen. Vor mir öffnete sich ein weites, flaches Tal mit vielen Bäumen und Wiesen. Rings herum erhoben sich die Berge, als wollten sie verstecken, was unter ihnen verborgen liegt. Ich schaltete etwas ab und atmete tief durch. Die frische Luft half mir schließlich wieder auf die Beine.

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Der Pfad führte auf der Nordseite über ein paar Schneefelder in das Tal darunter. Das Problem war, dass ich irgendwelchen Spuren gefolgt bin, die mich mitten ins Nirgendwo katapultiert haben. Ich musste eine Weile suchen und über unwegsames Gelände klettern, sowie durch Flüsse gehen, um den Wanderweg wieder zu finden. Es ging weiter und weiter abwärts, bis ich irgendwann das Tal erreichte.

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Der Kontrast der Vegetation war wirklich spannend. Gerade noch befand ich mich in einer Wüste aus Gestein und gefrorenem Wasser, jetzt wuchsen überall Pflanzen und Insekten flogen um mich herum. Die weiten Wiesen lagen still vor mir und ein türkiser Fluss speiste die Landschaft. Es fühlte sich an wie im Paradies. Ich suchte mir eine schöne Stelle unter einem Baum, um zu essen. Dabei hörte ich den Vögeln bei ihren Gesängen zu und lauschte dem Brummen der Hummeln. Ab und zu grüßte ich vorbei marschierende Wanderer, ich achtete jedoch nicht sonderlich auf sie. Für mich stand hier die Natur an erster Stelle.

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Es ging meilenweit durch das flache Tal. Ich hätte diese Strecke eigentlich mühelos bewältigt, wenn ich nur nicht den halben Supermarkt eingepackt hätte 😀 . Ich hatte irgendwann solche Schmerzen, dass ich mich immer wieder auf den Boden setzen musste, um zu verschnaufen. Jetzt konnte ich mir so langsam ausmalen, was es früher in den Sechzigern oder Siebzigern bedeutet haben musste den Pacific Crest Trail zu wandern. Damals gab es noch keine ultraleichte Ausrüstung aus hightech Materialien wie heute. Die pure Hölle. Der Tag quälte sich von Stunde zu Stunde in den Abend hinein, doch ich erreichte bald sehr gut ausgearbeitete hölzerne Brücken. Das konnte nur eines bedeuten: Zivilisation. Mich passierten viele Tageswanderer und ich musste mich zusammenreißen nicht jedes Mal zu grinsen, was da so für Gestalten dabei waren. Zugegeben: ich sah auch nicht mehr aus wie frisch vom Haare schneiden, aber das gehörte für mich nun mal zu der Reise dazu. Immerhin wurde ich so direkt als einer der Fernwanderer wahrgenommen. Eine Frau wollte sogar unbedingt ein Foto von mir machen, weil sie, wie sie sagte, das bewundern würde, was wir machten. Da wurde ich gleich ein bisschen verlegen, haha 🙂

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Ich erreichte einen Highway und bald darauf den Resort Tuolumne Meadows. Es war ein für Touristen angelegter Ort mit einer kleinen Poststelle, einem teuren Laden und einem großen Zeltplatz. Es waren unheimlich viele Leute hier. Ich traf wieder auf Dave, den alten Ausreißer. Wir erzählten uns, wie es uns in den letzten Tagen ergangen ist. Ich erwähnte natürlich meinen Rucksack und da hat er mich dazu überredet meine Vorräte aufzuteilen und die Hälfte vorauszuschicken. Später würde ich ihm dafür mehr als dankbar sein. Allmählich wunderten wir uns, wo denn Zero war. Er wollte noch am selben Tag zu uns stoßen, doch er kam nicht. Wir konnten da wenig tun, es gab auch keinen Handyempfang, daher schickten wir ihm eine SMS mit meinem GPS Gerät. Ich deckte mich mit etwas Obst ein und baute mein Zelt in dem Platz auf, ohne dafür zu bezahlen. Ich stellte mich einfach in die Nähe von Dave und das passte dann auch so.

Apropos:

Viele von den Touristen schauten sich wahrscheinlich den Yosemite Nationalpark an und die Hauptattraktion: den weltberühmten Half Dome. Ein beeindruckender Felsen. Leider führte uns der PCT nicht genau dort entlang, man konnte ihn aber von hinten sehen. So sieht er zumindest von vorn aus (creative common):

„Half Dome“ by kbovard is licensed under CC BY-NC-ND 2.0 

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