Tag 77

Wir ließen es heute ruhig angehen, ich wachte dieses Mal sogar vor meinem Wecker auf und stellte ihn ab, bevor er mich nerven konnte. Dave machte schon mal los und wartete etwas weiter oben auf dem Hügel. Die Mücken waren wieder zahlreich hier am See. Es war so schlimm, dass ich mich komplett einsprühen musste und meine Sachen mit aufgesetztem Mückennetz einpackte. Und ständig dieses leise Surren der Biester im Ohr, dass einen wahnsinnig machen kann. Hunderte hungriger Tiere, durstig nach frischem roten Saft.

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Dave und ich trafen uns ein Stück weiter des Weges und liefen zusammen los. Wir waren beide etwas demotiviert heute. Der kommende Pass sah auf dem Höhenprofil alles andere als einfach aus und der Rest ließ auch eher auf steile Anstiege schließen. Der erste Hügel bestätigte unsere Befürchtungen. Er saugte mir die Kraft aus den Muskeln wie ein trockener Schwamm Wassertropfen aufsaugt.

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Der Tag war geprägt von steilen Auf- und Abstiegen, während die Sonne heute wie wahnsinnig knallte. Wir folgten dem Weg weiter runter in die Schlucht. Ich lief vorweg und gab das Tempo an. Da überall runde Steine lagen, bewegten wir uns langsam. Sollte sich einer von uns hier den Knöchel brechen, gäbe es nur wenige Optionen. Mitten im Gebirge, meilenweit von der nächsten Stadt entfernt würde dann nur die Rettung per Hubschrauber in Frage kommen.

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Unten angekommen überquerten wir einen Fluss über angestautes Holz, das sich wie eine Mauer aufgetürmt hatte. Darauf lag ein langer Baumstamm, den wir als Brücke nutzten. Der Fluss unterhalb war beängstigend, da wir bestimmt drei oder vier Meter darüber balancierten. Auf der anderen Seite begegneten wir einer jungen Frau mit dem Trailnamen „Nectar“. Sie hatte bereits fünf Jahre amerikanisches Militär hinter sich und hatte irgendeinen Job bei der Instandsetzung von Helikoptern, wenn ich mich recht entsinne. Für ihre vierundzwanzig Jahre sah sie zudem recht erfahren aus.

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Der Trail führte wieder steil bergauf. Wir hielten an einem schattigen Platz, in dessen unmittelbarer Nähe ein schöner Fluss plätscherte. Als wir unseren Weg durch die Hitze fortsetzten, bewunderte ich die zerklüfteten Spitzen der Berge über mir. Majestätisch ragten sie in den Himmel. Nach einer endlos erscheinenden Zeit näherten wir uns dem Seavey Pass. Davor lag, versteckt wie ein kostbarer Schatz, ein kleiner klarer See, dessen Oberfläche die Berge dahinter spiegelte. Nach einem letzten Kraftakt standen wir schließlich auf dem Pass und machten eine längst überfällige Mittagspause. Nach etwa zwanzig Minuten kamen ein paar Leute mit einem kleinen süßen Hund vorbei. 🙂 Er hatte eine grüne Tragetasche um den Bauch umgeschnallt. Laut dessen Besitzer hätte er nur sein eigenes Futter darin. Ich fand das knuffig, wie der kleine Kerl freudig hin und her wetzte. Um diese überschäumende Energie konnte ich den Kleinen nur beneiden.

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Nach dem Pass ging es diesmal extrem Steil nach unten. Meine Knie fingen an zu protestieren, da sie diese hohe Belastung nicht gewohnt waren. Im Tal mussten wir schon wieder einen Fluss durchqueren. Brücken seien purer Luxus, wie mir schien. Auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei Lamas. Ja, wirklich. Waschechte Lamas, wie ich sie bisher nur aus dem Zoo kannte. Wir unterhielten uns mit den beiden Besitzern. Mit der Frau „Lamamama“ und Bob (einfach nur Bob). Sie erklärten uns, dass sie mit den Lamas südwärts wanderten, bis zu zwölf Meilen würden die Tiere täglich in dem anstrengenden Terrain schaffen. Und sie tragen dabei sogar noch das Rucksackgewicht ihrer Begleiter, da sie kein Futter mitnehmen müssten. Die Lamas würden nämlich einfach das Gras abfressen, dass in den Sierras so üppig sprießt. Ich streichelte eines der Lamas vorsichtig, da ich Respekt vor dem Tier hatte. Ich wollte nicht gebissen werden. Das Fell war überraschend weich. Mir tat der Bursche etwas leid, da anscheinend alle Moskitos auf ihn schwirrten und uns in Ruhe ließen. Ab und zu rieb er seinen schneeweißen Kopf am Boden. Viel mehr konnte er ja auch nicht tun. Das schwarze Lama etwas weiter rechts schaute ab und zu interessiert in unsere Richtung.

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Kurz bevor wir unseren Zeltplatz erreichten, mussten wir noch ein Stück eines Berges erklimmen. Nach all den Strapazen des Tages waren wir mehr als ausgebrannt. Wir trafen „Nectar“ wieder, die schon ihr Zelt aufgeschlagen hatte und gemütlich aß. Wir entzündeten ein kleines Feuer und unterhielten uns angeregt über alles Mögliche. Als es dunkel wurde entnahm ich mir zwei heiße Steine aus dem steinernen Ring des Lagerfeuers und wickelte sie in mein Handtuch ein. Sie strahlten so viel Wärme ab, dass mir richtig heiß wurde. Ich musste sogar meinen Schlafsack öffnen. Doch die wohlige Wärme ließ mich befriedigt einschlafen.

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