„Eine Reise von 1000 Meilen beginnt zu Deinen Füßen“ – Laotse
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“ – Erich Kästner
Ich wachte wieder vor meinem Wecker auf, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich genug Schlaf bekommen hatte. Mittlerweile achtete ich mehr darauf ausreichend Ruhe zu bekommen. Ich musste meine Kräfte zusammenhalten, die Reise zehrt einen sonst zu sehr aus.
Der morgendliche Anstieg hatte es in sich. Es ging ordentlich aufwärts und ich schwitzte trotz der kühlen Luft, während sich meine Lunge einfach nicht beruhigen wollte. Es ging über aalglatt polierte Felsen und steinigem Terrain immer weiter hoch, bis wir schließlich völlig erschöpft den „Gipfel“ erreichten. Wir schienen die Vegetation nicht mehr zu verlassen – zumindest waren wir nicht mehr so hoch wie noch vor ein oder zwei Wochen, als wir schneebedeckte Pässe überquerten.

Ab und zu liefen wir an türkisgrün, manchmal himmelblau schimmernden Seen vorbei. Einige kleinere Tümpel waren eher dreckig braun und ich vermutete dort die Nistplätze der zahllosen Moskitos, die uns weiter unten die Hölle heiß machten. Unter der Wasseroberfläche eines schönen Gewässers schwammen große Fische friedlich vor sich hin. Ein Anblick, der mir das Herz wärmte.

Die Mücken hatten heute Showdown, denn als wir an einen breiten Fluss gelangten, der sich durch einen schattigen Wald schlängelte, griffen uns die Tiere von allen Seiten an – umschwärmten uns regelrecht. Ich fühlte mich ausgeliefert, also beschleunigte ich mein Tempo. Doch dann sollten wir auf einmal besagten Fluss überqueren. Wir fanden eine Stelle mit aus dem Wasser empor ragenden Steinen. Doch leider wurden viele davon überspült und so gingen wir einfach mit den Schuhen durch den Fluss. Mit triefend nassen Füßen bestiegen wir eine Anhöhe, die etwas Wind abbekam. Es war zwar erst Vormittag, doch ich überredete Dave zu einem vorzeitigen Mittagessen, da ich annahm, dass wir so eine eher mückenarme Umgebung erst sehr viel später antreffen würden, vielleicht nicht mal mehr heute. Also aßen wir etwas und ließen die klatschnassen Socken und Schuhe in der Sonne trocknen.
Nach einer guten Dreiviertelstunde machten wir uns wieder auf. Es standen neun Meilen Anstieg vor uns, um auf den Dorothy Lake Pass zu kommen. Glücklicherweise entpuppte sich das Ganze als eher einfach, doch die schiere Länge der Strecke machte mich letztendlich doch fertig. Es gab massig wässrige Wiesen und Schlamm durch den ich durchwatete. Und natürlich gab es Mücken. Sie schienen überall auf Einen zu warten, ganz gleich, wo man gerade zu stoppen beabsichtigte. Daher hatte ich ein zackiges Tempo, ich wollte so schnell wie möglich dieser Hölle entfliehen. Meine rechte Wade schmerzte, vermutlich aufgrund von vernachlässigtem Dehnen. Der Dorothy Lake war wunderschön anzusehen. Dunkelblau lag er ruhig da und schimmerte glanzvoll, während sich hinter ihm eine Bergkulisse erstreckte.



Kurz darauf erreichten wir den Pass, auf dem noch ein letzter Rest Schnee lag. Dort gönnten wir uns eine kurze Pause bevor es weiterging.

Wir planten noch weitere drei Meilen zu gehen, denn ich stand kurz vor meiner Eintausend. Ich war schon etwas aufgeregt, endlich dort anzukommen. Ein Ziel, dass ich mir nach den ersten eintausend Kilometern gesetzt hatte. Während wir den Wanderweg durch einen Wald folgten, fragte ich mich schließlich wann wir denn endlich da sein würden. Und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Da war es, direkt am Wegesrand und nicht zu übersehen: eine große steinerne Eins mit drei Nullen. Ich konnte es kaum fassen, wie weit ich mit der Kraft meiner Beine und dem Willen in meinem Herzen gekommen war. Diese Zahl lässt sich wirklich sehen. Ich dachte an all das, was ich bereits gesehen hatte, an all die Erfahrungen, die ich schon reicher war. Ich bin durch Schnee, Regen, Hagel, Sturm, Gewitter, Erdbeben, große Hitze und eisige Kälte gewandert. Alles, nur um hier zu stehen. Erfahrungen fürs Leben. Reichtum im Innen.

Wir schlugen unser Lager etwas oben auf dem Hügel, nicht weit von der Markierung auf. Der Boden war so steinig, dass ich drei Heringe mit schweren Steinen verankern musste, um mein Zelt aufzubauen. Noch einen Tag bis Bridgeport. Ich sehnte mich nach einer Dusche, nach frischem Obst und nach kühlem Kokosnusswasser. Eine Wassermelone wäre auch nicht verkehrt gewesen.
