Tag 89

Nachdem ich den gestrigen Tagebucheintrag niedergeschrieben hatte, wollte ich in Ruhe einschlafen. Doch ich wurde wach gehalten. Draußen, nicht weit von meinem Zelt entfernt, knackten Äste. Das Geräusch wurde zunehmend lauter. Etwas näherte sich mir. Ich erstarrte und spürte, wie sich etwas in meiner Brust zusammenzog, sodass mir der Atem wegblieb. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ein Bär geradewegs auf mein Zelt zumarschierte. Er blieb stehen. Ich hatte Angst. Das nackte Grauen. Kratzen.. Brechendes Geäst. Da die Geräusche nicht enden wollten und ich so nicht schlafen konnte, traf ich eine Entscheidung. Ich musste den Bären verjagen. Also rief ich aus meinem Zelt heraus. Ich schrie beinahe und versuchte so meiner Stimme Nachdruck zu verleihen. Es funktionierte. Ich hörte, wie das Tier mit donnernden Schritten davonlief. Keine Viertelstunde später, ich war fast eingeschlafen, kamen erneut Geräusche. Doch dieses Mal vermutete ich ein Reh. Ich verjagte auch dieses und konnte endlich abschalten. Was für eine Nacht.

Ich hatte nichtsdestotrotz einen tollen Start in den Tag. Endlich hatte ich wieder Aussichten. Die Farben der Felsen im Morgenlicht waren überwältigend.

Etwas später ging es auf den nächsten Berg rauf. Anfangs war der Trail recht steil und die Hitze der Sonne war fast nicht zu ertragen. Normales Gras wurde hier durch wild wachsende gelbe Blumen ersetzt, die scheinbar unaufhaltsam jeden freien Flecken Erde zu besetzen schienen. Millionen gelber Blüten leuchteten in einem grünen Teppich. Unzählige Schmetterlinge flogen an mir vorbei. Sie zogen in Schwärmen umher und setzten sich scheinbar auf alles Mögliche. In einem angrenzenden Waldabschnitt saßen sie nicht nur auf dem Trail, sie saßen auch auf den Bäumen. An manchen Stämmen tummelten sich dutzende dieser kleinen Tiere. Sie besetzten auch die Äste, fast parasitär, dennoch wunderschön. Teilweise war ich von den Schwärmen umhüllt.

Ich folgte einem surrealen Weg, der sich über die Rücken der Berge zog. Ich war total im Moment, völlig absorbiert. Der Wind toste mit aller Gewalt über das Felsmassiv und brachte mich hin und wieder ins Wanken. Der Trail blieb eine Zeit lang ungefähr auf gleicher Höhenlage, bevor er wieder in bewaldetes Land abfiel.

Meile für Meile ging es hinunter ins Tal. Die Landschaft war heute wahnsinnig interessant. Als die Dämmerung einsetzte, kam ich an einen Highway. Es gab hier einen kleinen Laden ein paar Meilen die Straße rauf. Jemand nahm mich nach kurzer Wartezeit auch schon mit. Der Ladenbesitzer war super freundlich und schenkte mir meinen halben Einkauf. Wie habe ich mich gefreut! Da es hier Mobilempfang gab konnte ich sogar mit Zero telefonieren. Er war kurz nach mir am Highway eingetroffen und zusammen machten wir uns wieder auf den Weg.

Die untergehende Sonne tauchte die Kuppen der Berge in glühend orange-rotes Licht. Wir fanden einen adäquaten Zeltplatz nicht weit von der Straße entfernt, wo wir unsere Lager aufschlugen. Während wir aßen und lachten ging über dem Horizont der Vollmond auf. Es war ein guter Tag.

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