Tag 93

Und sowie des Vollmonds silbriger Schein langsam der aufgehenden Sonne wich, endete zugleich der dritte Monat meiner Wanderung. Drei Monate, drei lange Monate des Wanderns und der Abenteuer. Ich bemerkte so langsam eine deutliche Veränderung meiner Waden. Die Muskulatur wirkte kräftiger und meine Kondition hatte sich deutlich verbessert. Nach knapp zwölfhundert Meilen auch kaum verwunderlich. Trotzdem blieben die Schmerzen, die ich jedes mal am Ende eines langen Tages in den Füßen verspürte, bestehen. Das würde sich vermutlich auch nie wirklich ändern.

Ich war heilfroh, dass wir diesen komischen Zeltplatz Parkplatz endlich verließen und uns wieder eine Woche lang in der Natur befinden würden. Wir ließen uns früh unverschämt lange Zeit, bis wir zum Aufbruch bereit waren. Ein Mann nahm uns in seinem Pick-Up Truck zum Trail mit. Dort angekommen, es war schon halb neun, sahen wir uns einem mehr als zwölf Kilometer langen Aufstieg gegenüber stehen. Der Trail führte uns über eine schiere Unzahl an ’switchbacks‘ (180° Kurven) die Berge hinauf. Zunächst schützte uns noch der schattenspendende Wald, später jedoch ging es über die Baumgrenze hinaus. Hier wuchsen nur noch kleinere Pflanzen. Das hohe Rucksackgewicht und das stetige Aufsteigen ließen mich schwitzen, bis es mir wie Wasser nach einer Dusche von den Haaren tropfte.

Kurz vor dem Ende dieses langen Gewaltmarsches trafen wir auf einen mir alten Bekannten. „Honeybuns“ habe ich das erste mal in Kennedy Meadows kennengelernt, also als ich die Sierra Nevada noch vor mir hatte. Dort hatte er mir erklärt, wie man einen Sternenhimmel richtig fotografiert, was mir später auch gelang. Jedenfalls haben wir uns kurz unterhalten, bevor Zero und ich weitergegangen sind.

Wir machten eine Mittagspause an einem kleinen See, der in der Sonne funkelte und glitzerte. Es waren eine Menge anderer Leute vor Ort. Sie waren mit ihren Autos gekommen und kampierten am Wasser. Und sie hatten Hunde dabei. Ich zählte mindestens vier Stück. Während wir gemütlich unser Essen genossen, beobachtete ich eine Entenfamilie, die mich stark an die Heimat erinnerte. Ein paar der anwesenden Leute fuhren stehend auf einer Art Surfboard über das Wasser. Und zu meinem Erstaunen machte ein Mann einen Kopfstand, während er auf dem wackligen Ding balancierte. Ich fragte mich, ob ich einen Handstand darauf machen könnte. Vermutlich nicht beim ersten Mal, wahrscheinlich auch nicht beim zehnten Versuch. Das würde eine Menge Übung erfordern.

Als es irgendwann weiterging, kamen wir an einem großen Zeltplatz vorbei. Zero und ich trennten uns vorläufig, da er die Bar oder das Restaurant dort aufsuchen wollte. Wir vereinbarten einen Zeltplatz und verabschiedeten uns. Es war weniger heiß als gestern, doch die Wärme reichte noch aus, um mich während eines erneuten Anstiegs richtig fertig zu machen. Ich hielt an einem schönen Aussichtspunkt an und ließ meinen Blick in die Ferne schweifen. Honeybuns traf etwa zehn Minuten später ein. Er war mir bei einem Handstandfoto behilflich, bevor ich mich wieder aufmachte.

Die letzten fünf Meilen hörte ich gebannt meinem Hörbuch zu, dass nun nach fünfunddreißig Stunden sein Ende fand. Ich nahm meine Umgebung, die größtenteils aus dichtem Wald bestand, nur noch am Rande wahr. Der Trail vor mir schlängelte sich so dahin, wie er es die letzten eintausend Meilen auch schon getan hat. Ich tagwandelte regelrecht. Als ich endlich meinen Platz erreichte, schlug ich schnell mein Zelt auf. Honeybuns kam etwas später auch dazu. Er blieb. Wie aßen zusammen zu Abend und unterhielten uns etwas. Als ich schon fertig war, kam Zero endlich hier eingetrudelt. Ich dachte schon, dass er überhaupt nicht mehr kommen würde. Letzten Endes kampierten wir also zu dritt. In einem Gebiet mit vielen Bären eine gute Sache, wie mir schien.

Hinterlasse einen Kommentar