
Ich wurde dieses Mal ausnahmsweise von Zero geweckt. Er wollte nicht, dass ich den grandiosen Sonnenaufgang verschlafe. Ohne ihn hätte ich das auch sicher. Also kroch ich aus meiner Höhle und setzte mich neben ihn auf die kühlen Steine. Die drei Mädels waren schon wach und putzten Zähne oder kämmten sich die Haare. So saßen wir gemeinsam auf dem großen Felsvorsprung, während wir die Dämmerung betrachteten. Dann kam die Sonne langsam über den Horizont, sie wirkte wie eine wahr gewordene Offenbarung des Lichts. Der große Feuerball, der alles Leben auf der Erde erst möglich machte. Das war ein Moment des Glücks für mich, die warmen Strahlen schienen mein Herz mit Liebe und Hoffnung zu füllen.

Aus der Erde werden wir geboren, und zu ihr kehren wir zurück. Der Kreislauf des Lebens. Wie die amerikanischen Ureinwohner einst sagten:
„When your blood in your veins returns to the sea, and the earth in your bones returns to the ground, perhaps then you´ll remember that this land not belongs to you, it is you who belong to this land.“ Wie wahr…
Als sich die Drei von uns verabschiedeten, blieben wir noch eine Weile sitzen und aßen unser Frühstück. Ein mutiges Eichhörnchen flitzte die ganze Zeit um uns herum, vermutlich wollte es ein bisschen Essen klauen. Ich warf ein Stück Walnuss zu ihm, das wurde jedenfalls prompt ignoriert. Einmal kam es so nah, dass ich es fast hätte streicheln können. Doch dann rannte es schon wieder davon. Als wir losgingen, graste ein Reh in unserer unmittelbaren Nähe. Es hielt einen gewissen Sicherheitsabstand zu uns ein, war jedoch nicht wirklich scheu.

Zero fand leere Patronenhülsen auf dem staubigen Trail. Wir wunderten uns schon, wer hier verbotenerweise geschossen hatte, dann sah ich ein durchlöchertes Schild am Straßenrand und mir war alles klar. Gleichzeitig war lauter krach von einer Kettensäge zu hören. Etwas später fiel neben uns ein langer Baum unter lautem Knacken und Ächzen zu Boden. Der dumpfe Aufprall schleuderte Staub in die Luft. Der reinste Horror, sollte jemals so ein Ungetüm nachts auf mein Zelt fallen.

Da wir uns wieder im grünen Tunnel befanden, vor und hinter uns nichts als Bäume, hielt sich meine Motivation sehr in Grenzen. Um ehrlich zu sein hatte ich Lust mich hinzusetzen und erst einmal eine lange Zeit lang gar nichts zu tun. In solchen Momenten hörte ich gerne Hörbücher, doch ich hatte mir schon alle angehört, die sich auf meinem Handy befanden und hier gab es nur unzureichende, bis nicht existente Internetverbindung. Daher kreisten meine Gedanken wild umher, was manchmal sehr anstrengend sein konnte. Ich dachte viel über die letzten Monate nach und rief mir nochmal ins Gedächtnis, warum ich den PCT laufe. Manchmal kann Zeit zum Nachdenken helfen. Trotzdem – dieser endlose Wald war demoralisierend. Ich schien aus diesem Irrgarten nicht mehr herauszukommen.

Doch dann erreichten wir nach acht Meilen eine asphaltierte Straße, die uns nach Bucks Lake bringen könnte. Dort wollten wir uns etwas umsehen und eventuell zu Mittag essen. Eine ältere Dame nahm uns mit zu dem zehn Einwohner zählenden Resort. Es gab ein Restaurant und ich bestellte mir Pommes mit einer veganen Pizza (heißt also Pizza ohne Käse). Dann aß ich mich so voll, dass ich Mühe hatte zu gehen, während sich mein Bauch nach vorn wölbte. Zero wollte sich noch etwas ausruhen und später am Abend zu mir stoßen. Und so trampte ich allein zurück zum Trail.

Der Aufstieg war heiß und die Luft flimmerte über der trockenen Erde. Ich fand zuvor noch ein paar Musikalben, die ich mir nun anhörte. Das war besser als nichts, wie ich mir eingestehen musste. Dann kam unverhofft ein schöner Ausblick auf die grünen Wälder und die Berge dahinter. Viele Blumen standen hier in voller Blüte.


Als ich mein Zelt in der Nähe eines Baches aufschlug und langsam zur Ruhe kommen wollte, kam noch ein Reh vorbei um gute Nacht zu sagen. 🙂