Tag 113

Nach dem Frühstück bin ich versehentlich wieder eingeschlafen. Es war der alte Kampf zwischen Schlafen und Wachen, den ich mittlerweile jeden Morgen auszufechten schien. Mein Zelt war so nass von Außen, dass ich mich schon fragte, ob es nachts nicht doch geregnet haben könnte. Ich rollte meine Behausung zu einer triefend nassen Rolle zusammen und stopfte diese etwas missmutig in die Zelttasche, die auch schon an der oberen Lasche einen Riss hatte. Der allgemeine Verschleiß der Dinge machte sich langsam immer stärker bemerkbar. Beispielsweise lief ich bereits seit Wochen mit einem hübschen Riss in meiner Hose herum. Ich hatte einmal versucht, diesen ordentlich zuzunähen. Das hatte ganze vier Stunden gehalten und ist dann wieder aufgerissen. Seither ignorierte ich diesen einfach gekonnt. Ein Paar Wochen mehr würden das Kraut nun auch nicht mehr fett machen.

Später als geplant machte ich mich auf den Weg. Die Sonne spielte heute Verstecken mit mir, der vorab angekündigte Regen blieb jedoch zunächst aus. Trotz der Tatsache, dass ich ein Hörbuch hörte, schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Ich fing mehr und mehr an über meine bereits zahlreichen Erlebnisse nachzudenken. Über die vielen Tage in der Wildnis und wie diese mich bereits verändert hat. Wüsten, Hochgebirge und Wälder. Die Strapazen der letzten dreieinhalb Monate machten sich deutlich bemerkbar. Ich fühlte mich manchmal fast einem Burnout nahe. Ich hatte seit über zweihundert Meilen keinen richtigen Tag mehr Pause gemacht, war immer nur am Hetzen und Kalkulieren der Zeit. Ich sagte mir immer wieder: „noch zwei Wochen Wandern und du bist fertig. Du gehst nach Hause.“ Nach Hause… ein mittlerweile seltsamer Begriff.

Nach einem anstrengenden Marsch aufwärts lief ich an tausenden Beerenbüschen vorbei. Die blauen Kugeln schmeckten einfach nur göttlich. An einem der Sträucher hingen solche fetten Teile, dass ich anhielt und mir eine Handvoll pflückte. Ich wünschte, dass ich mehr Zeit gehabt hätte, dann hätte ich mir eine ganze Tüte voll eingepackt. Die Geschenke des Waldes. Genauso sprossen überall Pilze munter aus dem Boden. Manchmal waren das regelrechte Monster. Einmal glaubte ich den grünen Knollenblätterpilz darunter erkannt zu haben. Als Beilage nicht die beste Idee.

Meine Mittagspause verrichtete ich an einer Schotterpiste im Schatten großer Streucher. Die Sonne war heute so schwach, dass das Aufladen meines Handys mittels Solarpanel kaum möglich war. Ich breitete mein Zelt zum Trocknen aus. Wind und Sonne ließen das Wasser regelrecht zackig verdunsten. Ich schloss meine Augen für fünfzehn Minuten und spürte, wie dringend mein Körper die Erholung brauchte.

Danach stapfte ich noch ein paar weitere Meilen vorwärts. Immer wieder ging es rauf und wieder runter. Mich machte das ziemlich alle auf Dauer. Doch dann eine zunächst bizarre Situation. Vor mir auf dem Trail stand eine hochschwangere Frau und grüßte mich lächelnd. Ich erwiderte den Gruß und als ich das weiße Pavillon sah, verstand ich. Trail Magic! Ein Mann saß auf einem der Stühle und grüßte mich ebenfalls. Wir redeten eine Weile. Sie hatten kalte Getränke und reichlich Snacks, sowie Früchte und dergleichen. Später kam noch etwa ein halbes Dutzend Wanderer dazu. Wir saßen alle beisammen, essend und lachend. Ich musste wieder einmal diese Menschen bewundern, die das alles selbstlos veranstalteten. Ich wollte zukünftig ebenfalls so sein. Schenken um des Schenkens willen. Einfach nur, um den Mitmenschen eine Freude zu machen und ohne dabei eine Gegenleistung zu erwarten. Dadurch kann wahre Magie entstehen.

Die Zeit verging wie im Flug und da das Wetter immer schlechter wurde, spurtete jedermann los. Die Strecke war sehr anstrengend, da die Anstiege manchmal extrem steil waren. Ich erreichte kurz nach sieben einen schönen und klaren See. Hier zeltete ich zusammen mit den Anderen. Manchmal hörte ich leichtes Donnergrollen, als sich der trübe Abend immer mehr verdunkelte und die regnerische Nacht Einzug hielt.

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