Tag 53

Der Tag des Aufbruchs war endlich da. Ich war schon regelrecht ungeduldig, aber irgendwie hatte ich auch Ehrfurcht vor der kommenden Etappe, der Sierra Nevada. Ich hatte schon öfters gehört, dass das Gebirge mit zu den schönsten Abschnitten des PCT gehören solle.

Trotzdem war ich früh alles andere als schnell auf den Beinen. Die Fülle an Dingen, die vor dem Aufbruch noch getan werden musste, veranlasste mich eher zur Stagnation als zur Produktivität. Trotzdem überwandt ich mich und packte meine sieben Sachen ein. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, da ich Schwierigkeiten mit dem Bärenkanister hatte. Und so musste ich meinen Rucksack dreimal komplett ein- und wieder ausräumen, bis mich jemand auf die zündende Idee brachte, den leeren Kanister oben auf meinen Rucksack festzuzurren. Die Park Ranger würden eh nur kontrollieren, ob man das bescheuerte Teil dabei hatte, oder nicht. Das witzige an der Sache ist übrigens, dass mein komplettes Essen nicht in den Kanister passt. Also werde ich den Rest wie gehabt an einem Baum hochziehen. Wie in alten Zeiten.

Alles eingepackt merkte ich zum ersten Mal, was für ein abnormal schweres Kaliber ich da hinten auf dem Rücken trug. Ich freute mich jetzt schon auf die ganzen steilen Berge.. Emma, King (Emmas Freund), Dusty, Short Notice und ich wurden Richtung Trail gefahren. Unterwegs musste ich jedoch aussteigen und nochmal zum General Store gehen, um meine Jacke abzuholen, die ich Wochen zuvor hierher schickte. Da dieser Abholvorgang seine Zeit dauern würde, ließ man mich halt zurück und die anderen wurden ohne mich zum Trail gefahren.Als ich meine Jacke endlich hatte, bemerkte ich plötzlich, dass meine Ausweise samt Geld fehlten. Ich bekam einen riesen Schreck und verstand die Welt nicht mehr. Ich konnte eine Rückfahrt arrangieren und suchte über eine halbe Stunde bei Grumpy Bears und in der Nähe des Ladens. Bei Letzterem wurde ich schließlich fündig. Unter dem Rucksack eines Wanderers lag meine Brieftasche. Ich war erleichtert und machte mich auf den Weg.

Ich ging die Teerstraße Richtung Trail entlang. Irgendwann wurde mir das Laufen zu blöd und ich setzte mich trotzig an den Straßenrand und wartete auf eventuelle Autos. Als ich da so saß, bemerkte ich aufsteigenden Rauch hinten in den Bergen. Ein Buschfeuer.

Glücklicherweise brannte es nicht in nördlichen Gefilden, sondern eher westlich davon. Dann kam plötzlich ein Auto und hielt vor mir an. Die Familie machte mir netterweise Platz im Van und sie brachten mich zum PCT. Und meine Reise konnte endlich losgehen.

Und so setzte ich meinen Fuß in die Sierras. Von diesem Moment hatte ich lange geträumt. War ich bereit? Hatte ich mich genug informiert? War ich mir auch all der möglichen Gefahren bewusst? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Ich ließ mich von meinem bevorstehenden Abenteuer einfach aufsaugen, wie Regentropfen von staubigem Wüstenboden. Wenig später holte ich die Anderen ein. Die Mädels (bis auf Dusty) standen oberkörperfrei an einem Fluss. Ich bewunderte diese schamlose Freizügigkeit und freute mich, wie schön unkompliziert das Leben hier draußen sein konnte. Kurz bevor ich kam, badeten alle zusammen in dem kühlenden Wasser. Ich war leider einen Ticken zu spät. Kurz danach ging es auch schon weiter. Ich ging der Gruppe voraus, möglicherweise ein Fehler, denn ich sah die Vier danach nicht mehr wieder. Ich wusste nicht so recht, ob ich mit meinem Tempo etwas übertrieben hatte, oder ob sie mich unterwegs überholten, als ich mal für kleine Jungs musste. Die Landschaft war jedoch atemberaubend, der drastische Übergang von Wüste zu Hochgebirge phänomenal.

Die neuen Schuhe fühlten sich etwas seltsam an. Ich mochte das Gefühl von Barfußschuhen deutlich mehr, doch ich versuchte mich mit der neuen (wenn auch vorübergehenden) Situation bestmöglich zu arrangieren. Ach ja, der Betonklotz auf meinem Rücken versuchte mich in den Boden zu stampfen, während mein Nacken wieder so weh tat, wie am ersten Tag.

Während sich die Sonne langsam dem Horizont näherte, bemerkte ich eine riesige Schar schwarzer Krähen über meinem Kopf. Sie flogen wild und ungeordnet durch die Luft und stießen ihre krechzenden Rufe aus. Ein böses Omen? Für mich mehr eine interessante Abwechslung und ich mochte diese Vögel auf eine Art, die ich mir nicht so ganz erklären konnte. Nicht weit davon entfernt schlug ich mutterseelenallein mein Lager auf. Es wurde bereits dunkel, also musste ich mich beeilen. Ich schlief wieder ohne Zelt. Als die ersten Mücken kamen, entschloss ich mich dazu mein Moskitonetz über meinen Kopf zu ziehen. Eine gute Entscheidung.

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